Digitalisierung in Forschung und Klinik – Teil 1: Ordnung im Datenchaos?

Diese Veranstaltung fand in Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien statt
Donnerstag, 17. März 2022, 14:45 Uhr

Univ. Dozent. Ansgar Weltermann (Leiter des Tumorzentrum Oberösterreich) referierte über das Oberösterreichische Klinische Krebsregister, das aus einem Bottom up Prozess in einem Expertennetzwerk entstanden ist, und lieferte ein beeindruckendes Beispiel eines Best Practice Modell. Das Register sollte so aufgesetzt werden, dass keine Doppelerfassung notwendig ist, und so dass es in der Routine implementiert werden kann. Dafür wird die  Tumordokumentationssoftware Celcius 37 Cancer Center verwendet. Es war eine strukturierte Eingabe erforderlich, aktuelle Tumorklassifikationen wurden im System hinterlegt. Für jeden Patienten gibt es einen Case Manager, der für das Tumorboard Diktat verantwortlich ist. Eine neue Berufsgruppe der TumorboardassistentInnen wurde zur Eingabe solcher Diktate in das online System geschaffen. Insgesamt gibt es in dem System 5 Validierungsschritte. Für die Tumordokumentare wurden Handbücher entwickelt. Täglich gibt es einen Transfer der Daten in ein Data Warehouse; im Datamangement besteht es ein sternförmiges Datenmodell in dem die derzeit 1000 Variablen verknüpft werden können. Es werden 6000 Patienten jährlich erfasst, Tendenz steigend. In letztem Jahr konnte in dem Register ein Knick in den N Mammae Diagnosen (COVID-bedingt) erfasst werden, und kann als Kollateralschaden der Pandemie gewertet werden. Realworld Sata für Mortalität etc können generiert werden, und mit internationalen Studiendaten zur Qualitätssicherung verglichen werden. Dr. Weltermann’s Vortrag enthielt eine eindrucksvolle realtime online Demonstration des Krebsregister. Es hat 10 Jahren Durchhaltevermögen für das Ausrollen für Oberösterreich gebraucht, und benötigt viele Personen die bei der Administration und Dateneingabe helfen (zB Tumordokumentare dokumentieren besser als die Ärzte, und TumorboardassistentInnen schaffen bessere Qualität in Tumorboards). Geteilte Kosten für Personal & Infrastruktur machen das Krebsregister auch für die Krankenanstaltenträger attraktiv. In der Zukunft sollen Patient Reported Outcomes von allen Patienten erfasst werden, Kosten/Nutzen und pharmakoökonomische Analysen machbar werden, es ist eine automatisierte Erfassung der gesamten onkologischen Medikamente  geplant, sowie eine Biobank (zB von der Pathologie) integriert werden.
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Dr. Rauchegger (ELGA GmbH) lieferte einen spannenden Überblick über die Elektronische Gesundheitsakte. Was kann ELGA grundsätzlich ? Es handelt sich um eine Patienten-zentrierte Kommunikation die zeit- und ortsunabhängigen Zugriff erlaubt. Grundprinzipien sind die strukturierte Dokumentation, die maschinenlesbar sein muss. Es bestehen 13 dezentrale Speicher zur Erfassung der Daten, die für 10 Jahre gespeichert werden. Die e-Medikation ist eine ELGA Anwendung, und stellt eine Datenbasis aller Verordnungen und Abgaben von Medikamenten dar. Dadurch soll die Sicherheit durch Vermeidung von Wechselwirkungen und unnötigen Doppelverschreibungen erhöht werden. Der elektronische Impfpass wurde als Instrument der Gesundheitsvorsorge eingeführt. Ziele sind unter anderem auch die Durchimpfungsraten zu erhöhen durch eine Erinnerungsfunktion, aber auch ein Management bei Ausbrüchen von Infektionserkrankungen (zB Maserncluster in einer steirischen Schulklasse im Jahr 2015). Eine Gallup-Umfrage zeigte eine hohe Zustimmungsrate der Bevölkerung zur Nutzung von Befunddaten und Medikationsdaten zur COVID Bekämpfung. Die Abmeldefrequenz von ELGA liegt bei e<3%, wenngleich eine temporäre Steigerung dieses Prozentsatzes durch Personen, welche der Impfpflicht entkommen wollten, im letzten Jahr zu verzeichnen ware. Derzeit sind 60 Millionen Befunde gespeichert, 1.2 Millionen Befunde kommen pro Monat hinzu, 20 Millionen Impfungen wurden bisher erfasst. In der Zukunft ist bei ELGA folgendes geplant: der e-Impfpass wird ausgeweitet, Patientenverfügungen sollen in ELGA hinterlegt werden (eine Verordnung ist noch auszuarbeiten), ein europäischer Datenaustausch von e-prescriptions, und Patientenkurzakten ist bis 2025 vorgesehen, sowie eine erweiterte Diagnose und Leistungsdokumentation (zB Laborbefunde) ist geplant. Eine Weiterentwicklung der ELGA ist geplant zB zur Unterstützung erweiteter Use Cases (zB Nutzen der Daten für die Forschung).

Univ. Prof. Duftschmid (MUW) lieferte eine Potentialanalyse für die Rekrutierung von Studienpatienten mittels ELGA. Herkömmliche Rekrutierungsverfahren sind aufwendig und oft ineffizient. Die Nützlichkeit Computer-basierter Rekrutierungssysteme konnte in bereits in mehreren Reviewarbeiten dokumentiert werden. Einrichtungszentrierte Dokumentationssysteme haben den Nachteil, dass wichtige Informationen nicht enthalten sind, und haben oft proprietäre Dokumentationssysteme; bei multizentrischen Studien kann das nicht optimal genutzt werden. Diese Daten können zwar von den auf ein Common Data Model übertragen werden, dies ist aber mit einem erheblichen Transformationsaufwand verknüpft. Das Gegenteil ist eine Patienten- zentrierte Dokumentation auf nationaler Ebene (zB durch ELGA). Der Aufwand für die Transformation wurde bei ELGA schon erbracht. Zirka 150 Variablen werden sehr häufig für Ein / Ausschlusskriterien benötigt (EHR4CR). Prof. Duftschmid hat eine praktische Demonstration des Mapping dieser Variablen in ELGA gegeben, ca 2/3 der Variablen waren in ELGA abgebildet. Zusammenfassend könnte ELGA die Studienrekrutierung in Österreich optimieren. Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass es jedoch noch weitere Untersuchungen zur Vollständigkeit der Datenmatrix bedarf.
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Herr Dr. Nateqi (Symptoma GmbH) stellte seine Vision vor, für jeden Patienten die richtige Diagnose (und Therapie) im Jahr 2030 zu bekommen. Fehldiagnosen sind häufig, ¾ der seltenen Erkrankungen werden nicht diagnostiziert und 30% der Systemkosten entstehen durch Fehldiagnosen. Dabei geht es darum das Ratespiel in der diagnostischen Medizin zu reduzieren. Zu Beginn brachte Dr. Nateqi ein eindruckvolles Beispiel eines Kindes, das Jahre unter einer Fehldiagnose litt. Nur zufällig wurde nach einem jahrelangen Leideweg das PANDAS Syndrom bei einem Kind diagnostiziert und damit auch therapiert werden. Symptoma bedient sich voranonymisierter Daten, ein Server wird innerhalb des Krankenhausmanagementsystems etabliert, und es werden Muster für seltene Erkrankungen analysiert. Vorteile eines solchen Artificial Intelligence basierten Diagnoseprogramm konnte für alle Stakeholder aufgezeigt werden: 1.5 Millionen Fehldiagnosen könnten Patienten erspart bleiben, die Sicherheit wird gesteigert, Zeit und Kosten (€450 Milliarden Euro in der EU) könnten gespart werden. Seit 16 Jahren wird nunmehr an der Verbesserung des Systems gearbeitet, und im internationalen Vergleich scheint Symptoma die höchste Treffsicherheit durch ein komplexes Analysesystem zu haben.

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