Forschung mit Gesundheitsdaten in der EU – Frankreich, Deutschland und Österreich als Wegbereiter
Diese Veranstaltung fand in Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien statt
Donnerstag, 14. März 2024, 16:00 Uhr, Online-Fortbildung über ZOOM
Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten – die deutschen Erfahrungen
Dr. Simone Breitkopf, DGPharMed
Deutschlands Digital Health Strategy besteht seit 2005 und beinhaltet den Aufbau einer Telematikinfrastruktur, die Interoperabilität digitaler Anwendungen sowie die Implementierung der elektronischen Patientenakte und des elektronischen Rezepts. Ziel ist die digitale Transformation von Gesundheitsprozessen, aber auch die Aufbereitung von Gesundheitsdaten für Forschungs- und Regulierungszwecke.
Im Zentrum der Digital Health Strategy steht die elektronische Patientenakte über die Daten eingespeist werden, aber auch für verschiedene Datenzentren wie das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (erschließt pseudonymisierte Abrechnungsdaten der gesetzlich Krankenversicherten), Gesundheitsdiensleistungserbringer oder Register nutzbar sind. Das deutsche Forschungsportal für Gesundheit ist dabei die zentrale Stelle für Forschende, die akademische Forschungsprojekte mit Routinedaten durchführen wollen. Die Daten dafür werden über die Medizininformatik-Initiative (MII), datenschutzkonform bereitgestellt und den 25 angeschlossenen Standorten nutzbar gemacht. In das Darwin-EU Projekt fließen Datenquellen auf dem Forschungsdatenzentrum Gesundheit, der Krankenkassen, der Medizininformatik-Initiative, nationale Genomdaten und nun auch aus medizinischen Registern ein. Flankierend wurde eine Fülle an Gesetzen verabschiedet: das Digital-Gesetz regelt den Aufbau der elektronischen Patientenakte, etabliert das e-Rezept als verbindliches Element in der Arzneimittelversorgung und regelt die Integration von DIGAs in den Versorgungsprozess. Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz wird die erleichterte Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für gemeinwohlorientierte Zwecke etabliert. Das Gesetz sieht derzeit 18 Nutzungsberechtigte vor, die pharmazeutische Industrie ist nicht genannt.
Auf europäischer Ebene soll mit der Schaffung des European Health Data Space (EHDS) die Primär- und Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten künftig einheitlich geregelt werden; das Darwin-EU-Projekt der EMA soll ab 2025 in vollem Umfang reale Erkenntnisse aus der EU zu Krankheiten, Bevölkerungsgruppen sowie die Verwendung und Leistung von Arzneimitteln liefern, die von der EMA und nationalen regulatorischen Behörden zur Arzneimittelzulassung genutzt werden können.
Die Nutzung von Sekundärdaten ist ein wichtiges Thema: In Deutschland ist die Analyse von Sekundärdaten für Fragestellungen der Versorgungsforschung, der Grundlagenforschung oder der Epidemiologie akzeptiert. Dazu gehören Routinedaten der gesetzlichen Krankenkassen, Daten aus Registern zu epidemiologischen, klinischen oder interventionellen Fragestellungen oder bevölkerungsbezogene Gesundheitssurveys etablierter Forschungseinrichtungen. Die Auswertung dieser Daten für die Nutzenbewertung im Rahmen des AMNOG befindet sich allerdings noch in der „Erprobungsphase“.
RWE-Erfahrungen aus Frankreich – der Health Data Hub
Dr. Mario Jendrossek, French Health Data Hub
Der französische Health Data Hub (HDH) wurde 2019 geschaffen, um den Zugang zu Gesundheitsdaten für Projekte von öffentlichem Interesse zu ermöglichen. Der Health Data Hub erfüllt drei Aufgaben; er ist zentrales Zugangsportal für Gesundheitsdaten, eine sichere und hochmoderne Plattform zur Datenanalyse und ein Datenkatalog mit umfassenden administrativen Daten.
HDH als zentrale Zugangsplattform: Anträge auf Datenzugang werden über eine spezielle Website gestellt, vom HDH auf Vollständigkeit geprüft und anschließend und im Bedarfsfall an den Ethik- und Wissenschaftsausschuss weitergleitet. Der HDH selbst fungiert derzeit nicht als Genehmigungsbehörde für den Zugang, dies entscheidet die französische Datenschutzbehörde. Alle Projekte, die Zugang auf Gesundheitsdaten erhalten, und ihre Resultate werden im öffentlichen Projektregister angezeigt. Derzeit umfasst das Register rund 6.000 Projekte. Darüber hinaus unterstützt der HDH Datennutzer mit regelmäßigen Trainings und Service-Unterlagen.
Datenkataloge im HDH: Über den HDH kann auf eine große Vielfalt von Gesundheitsdaten der französischen Bevölkerung (administrative Daten aus der Gesundheitsversicherung, Abrechnungsdaten zu Gesundheitsdienstleistungen, Todesursachenstatistik) zu Forschungszwecken zugegriffen und mit anderen Datenbanken wie Kohorten oder Register, verknüpft werden. Dieser Katalog wird kontinuierlich um neue Datenquellen, zum Beispiel aus Krankenhäusern, erweitert.
HDH als hochmoderne Technologieplattform: Der Hub ist eine cloudbasierte Plattform; Datenprojekte profitieren so von elastischen Speichermöglichkeiten und hoher Rechenkapazität, verschiedene Datenquellen können einfacher miteinander verknüpft werden und auch Projekte von außerhalb eingebunden und bearbeitet werden.
Der Health Data Hub ist von Beginn an ein Partnerschaftsprojekt, in dessen Weiterentwicklung unter anderem Patientenorganisationen, Forschungsinstitutionen, Gesundheitseinrichtungen und Hersteller eingebunden sind und fungiert darüber hinaus als Informationsdrehscheibe im Dialog mit den französischen Bürger:innen sowie als zuständige Behörde im Auftrag des französischen Gesundheitsministeriums bei der Implementierung und Schaffung des europäischen Gesundheitsdatenraums.
eHealth Strategie & Sekundärdatennutzung in Österreich
Dr. Alexander Degelsegger-Márquez, Gesundheit Österreich GmbH
„Die Entwicklung der österreichischen e-Health-Strategie befindet sich derzeit in der finalen Phase“, berichtet Dr. Alexander Degelsegger-Márquez von der Gesundheit Österreich GmbH. Die Strategie wurde von der Bundeszielsteuerungskommission 2022 in Auftrag gegeben und soll bis Mitte dieses Jahres in zwei Schritten erarbeitet werden. In der ersten Phase wurden in einer Arbeitsgruppe der Ständigen Koordinationskommission unter Vorsitz des Gesundheitsministeriums und mit Unterstützung der GÖG die Vision und die daraus abgeleiteten strategischen und operativen Ziele und Maßnahmen definiert. Der Entwurf wurde Ende November 2023 präsentiert und wird nun in einem partizipativen Prozess unter Einbindung der relevanten Stakeholder weiterentwickelt und konsolidiert, die Finalisierung der Strategie soll bis Mitte 2024 erfolgen.
Inhaltlich zielt die Strategie auf effiziente digitale Instrumente für die effektive Planung und Umsetzung von Maßnahmen im Falle einer zukünftigen Pandemie ab, aber auch auf die Etablierung eines datenschutzkonformen Zugangs zu anonymisierten und pseudonymisierten Gesundheitsdaten für die gesundheitspolitische Forschung und Systemsteuerung – auch im Hinblick auf die Umsetzung des European Health Data Space.
Gesundheitsdaten machen bereits heute einen sehr großen Teil des weltweit anfallenden Datenvolumens aus. In Österreich sind Gesundheitsdaten im Rahmen der DSGVO besonders zu schützen, die Verarbeitung ist nur in bestimmten Fällen wie ausdrücklicher Einwilligung und im lebenswichtigen Interesse der betroffenen Person oder im öffentlichen Interesse bzw. für Wissenschaft und Forschung zulässig. Daten aus Studien, DMP-Programmen oder Gesundheits-Apps können dann auf Basis einer Einwilligung oder auch einer nationalen Rechtsgrundlage verarbeitet werden.
Die Datenlandschaft in Österreich ist komplex: Primärdaten sind über ELGA, 1450, den e-Impfpass sowie Portale der Sozialversicherungen nutzbar. Sekundärdaten sind vorhanden, aber meist nicht verknüpfbar und von geringer Datenqualität. Nicht verfügbar sind Daten zu Patient Reported Outcomes, Daten aus dem niedergelassenen Bereich, dem Pflegebereich, dem OTC-Bereich und dem Medizinproduktebereich. Diesen strukturellen Herausforderungen soll mit verschiedenen Instrumenten und Initiativen begegnet werden: Dazu zählen die aktuelle Gesundheitsreform und die Entwicklung der eHealth-Strategie, die Einrichtung einer Datenplattform zur besseren Planung im Pandemiefall, die Novellierung der Dokumentationspflichten im Gesundheitswesen sowie der Ausbau des Austrian Mico Data Centers der Statistik Austria.
Auf EU-Ebene laufen derzeit Verhandlungen zur Schaffung eines Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS), über den EU-Bürger:innen ihre Daten verwalten können und elektronische Gesundheitsdaten für Forschung und Entwicklung einheitlich, pseudonymisiert und sicher zugänglich gemacht werden. Diskutiert werden derzeit noch die Opt-out-Möglichkeit für die EU-Bevölkerung, der Umfang der Datenkataloge für die Sekundärnutzung oder die Aufgaben der Gesundheitsdaten-Zugangsstellen. Zur Vorbereitung der Einführung des EHDS ist daher eine genaue Abstimmung auf nationaler und internationaler Ebene notwendig. Für Österreich sind daher ein solider Metadatenkatalog, ein vernünftiges Antragsmanagement, sichere Verarbeitungsumgebungen und die Entwicklung grenzüberschreitender Systeme für die Forschung notwendig, wobei die Kooperation mit internationalen Netzwerken im Sinne eines Best Practice Austausches von besonderem Interesse ist.
Die Slides dieser Vorträge sind nur für Mitglieder abrufbar. Den Link erhalten Sie wenn Sie Mitglied werden.