Nicht AMG – Nicht MPG – Welche Studie bin ich?

Diese Veranstaltung fand in Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien statt

Donnerstag, 15. Juni 2023, 15:00 Uhr

„Nicht AMG, nicht MPG – welche Studie bin ich?“

Real World Daten finden immer häufiger Eingang in klinische Forschungsprojekte. In unserer Fortbildung „Nicht AMG, nicht MPG – welche Studie bin ich?“ gingen wir Fragen nach, unter welchen Bedingungen mit RWD klinische Forschung betrieben und Evidenz geschaffen werden kann, aber auch, welche Kriterien für ein positives Votum bei der Ethikkommission relevant sind.

Forschen mit RWD – Wie mache ich rechtlich „alles richtig“?

Univ.-Ass. Dr. Žiga Škorjanc, Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht der Universität Wien, beleuchtete in seinem Vortrag die Frage, wie man rechtlich korrekt vorgeht, wenn es nicht möglich ist, auf anonymisierte oder synthetische Daten zurückgreifen zu können. Basis jeder Datenerhebung ist immer die Einwilligung der betroffenen Person. Für die Einwilligung gilt: Sie muss laut DGSVO zweckgebunden sein und die betroffene Person hat die Möglichkeit ihre Zustimmung zu widerrufen.

Einen Ausweg bietet die relative Anonymität. Nach einem Entscheid des EuG gelten Daten als anonymisiert, wenn durch Entfernung vieler Merkmale eine Identifizierung einer bestimmten Person nicht mehr mit vernünftigerweise zu erwartendem Aufwand zu erreichen ist. Entscheidend dabei ist die Perspektive des Betrachters, denn so kann etwa ein Datum für eine Stelle personenbezogen sein, für eine andere aber nicht. Dies tritt meist im Zusammenhang mit Repositorien auf.

Weiters wird über das Forschungsorganisationsgesetz (FOG) eine mögliche Einwilligung per Broad Consent geregelt, in dem mehrere Forschungsprojekte in einer Einwilligungserklärung zusammengenommen werden können. Weitere Sondertatbestände im FOG und für die Gesundheitsforschung relevant, betreffen Repositorien, die Sicherung von Rohdaten und Biobanken. Findet man mit diesen Sondertatbeständen kein Auslangen, kann man weiters überprüfen, ob man mit pseudonymisierten Daten oder Daten mit bereichsspezifischen Personenkennzahlen sowie Daten aus der Registerforschung das Auslangen findet. Der Nachteil dabei: der organisatorische und technische Aufwand sollte nicht unterschätzt werden.

Zuletzt ist es möglich, über Bestimmungen im Datenschutzgesetz eine Genehmigung zur Datengenerierung einzuholen. Dazu müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein: Das Forschungsprojekt muss im öffentlichen Interesse liegen, die Einwilligung der betroffenen Personen ist mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden und der/die Forscher:in bzw. das Forschungskonsortium benötigt die fachliche Eignung, das geplante Forschungsvorhaben lege artis durchzuführen. Darüber hinaus muss eine Zustimmungserklärung des über die Datenbestände Verfügungsbefugten dem Antrag beiliegen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann die Datenschutzbehörde eine Genehmigung zur Datennutzung ohne Einwilligung der betroffenen Person erteilen. Jährlich werden in Österreich etwa 60 solcher Anträge gestellt.

Auf EU-Ebene gibt es derzeit Anstrengungen, den Zugriff auf RWD zu erleichtern. Im aktuellen Entwurf zum European Health Data Space ist neben der Primärnutzung von Daten auch die Sekundärnutzung zur besseren medizinischen Forschung ein wichtiges Thema. Daten sollen zukünftig nicht identifizierbar, nur zu bestimmten Zwecken und in einer sicheren Umgebung für Forschende zugreifbar gemacht werden.

Federated Network: Praxisbeispiel EHDEN

In der Praxis steht die Forschung mit Real World Daten vor unterschiedlichen Herausforderungen – Stichwort „Data Harmonization“. Daniel Laxar, Forscher am Ludwig-Boltzmann-Institut für Digital Health und Patient Safety, vergleicht die aktuelle Situation mit Silos: In unterschiedlich aufgebauten Silos lagern unterschiedliche Güter; die Tore sind zumeist (aus rechtlichen Gründen) verschlossen, die Struktur der Silos verscheiden gestaltet. Das heißt, wir haben es derzeit mit Datenbanken unterschiedlicher Vokabularien und Qualität zu tun, der Zugriff ist nicht einheitlich geregelt.

Federated Networks können hier Abhilfe schaffen – die Daten liegen nicht an einer Stelle, die Struktur dahinter ist aber einheitlich gestaltet. International wurde über das Observational Health Data Sciences and Informatics (OHDSI) ein „open common data model“ kreiert, um Gesundheitsdaten einheitlich aufzeichnen zu können. Ziel dieses Modells ist nicht der Routineeinsatz im Krankenhaus, sondern die Schaffung eines Datenmodells zu Analysezwecken, in das Daten aus verschiedensten Quellen transformiert werden kann.

Auf europäischer Ebene werden Daten über das European Health Data & Evidence Network (EHDEN) in Kooperation mit Instituten und Forschungseinrichtungen für Forschende einheitlich zugängig gemacht. Die teilnehmenden Institutionen (Data Partners) stellen ihre Daten über ein Federated Network zur Verfügung, die jeweiligen Datenbanken werden darüber hinaus auch zertifiziert. Laxar berichtet über eine Kooperation mit der Universitätsklinik für Anästhesie, deren perioperative Datenbank in ein open common data model umgewandelt wurde und etwa Daten zu Vitalparametern, Medikamentengabe oder Entscheidungen des Fachpersonals aus den verschiedenen Bereichen der Anästhesie enthält.

Federated Networks bieten Forschenden künftig neue Möglichkeiten. Nachteilig sind aus Sicht Laxars das Involvement zusätzlicher Player und die daraus resultierende längere Iterationsdauer, holistische Ansätze wie Machine Learning seien schwerer umzusetzen oder die Datendiversität (einheitliche Datenvokabular, aber keine einheitliche Verarbeitung in den Kliniken). Die genannten Aspekte sind gleichzeitig Vorteile des Systems: Mehrere Personen sind involviert und kontrollieren die Daten, die Rechenleistung kann geteilt werden, multizentrische Studien leichter umgesetzt werden.

Klinische Evidenz durch RWD im Bereich MedTech/Pharmaforschung

PD Dr. Ghazaleh Gouya-Lechner, Vorstandsmitglied der GPMed, Geschäftsleitung Gouya Insights GmbH und Co KG, ging in ihrem Vortrag der Frage nach, wie Real World Daten zur Schaffung klinischer Evidenz eingesetzt werden.

Real World Evidenz (RWE) leitet sich aus der Analyse von Real World Daten ab und kann verwendet werden, „…um einen wissenschaftlichen Beweis für den potenziellen Nutzen oder das Risiko einer medizinischen Intervention (Arzneimittel, Medizinprodukt, …) zu erbringen.“ Vor allem im Bereich der Rare Diseases und der Precision Medicine, wenn es nur kleine Subgruppen gibt und randomisierte Studien unethisch wären, aber auch bei Beobachtungsstudien, die keinen Einfluss auf die Steuerung der Therapie haben oder als historische Kontrolle, kann diese Methode ein nützliches Tool sein.

Unter Einhaltung der Guidelines zur guten klinischen Praxis (ICH-GCP E6 und ISO 14155) gilt es für Forschende die Rückverfolgbarkeit und Zuverlässigkeit von Daten sowie Datenintegrität und Transparenz zu gewährleisten. Daher sollte bereits im Protokoll genau definiert werden, welche Daten herangezogen werden.

Gouya-Lechner zeigte dies – und auch mögliche Stolpersteine – an drei Beispielen auf:
Im ersten Fall sollten mittel retrospektiver Studie Daten einer sehr seltenen Patientenkohorte gesammelt werden, um ein bestimmtes Patientenprofil erstmals systematisch zu beschreiben. In diesem speziellen Fall handelte es sich um eine sehr seltene Erkrankung, eine randomisierte Studie wäre daher unethisch gewesen und die historische Kontrolle vorzuziehen. Der Informed Consent stellte eine besondere Herausforderung dar: Da es sich um retrospektive Daten handelte, war die relative Anonymität nicht gewährleistet, die Daten lagen weit zurück. Dies wird in vielen Ländern divers gehandhabt; zum Teil ist es erlaubt retrospektive Daten ohne Einwilligung zu sammeln, in Österreich etwa war die Einwilligung zwingend notwendig. Hier würde ein einheitliches Guidance-Dokument durch die Ethikkommissionen den Forschenden Abhilfe schaffen. In Österreich fallen retrospektive Datensammlungen weder unter AMG noch unter MPG – eine einheitliche Regelung zur Bewertung wäre daher wünschenswert.

Im zweiten Fall beschrieb Gouya-Lechner eine prospektive Kohortenstudie, in dem ein Biomarker erforscht werden sollte. Dabei wurden Routinedaten, aber auch Daten, die über eine Blutabnahme gewonnen wurden, gesammelt. Nach Definition der EMA handelte es sich um eine nicht interventionelle Studie, allerdings kam es zur Blutabnahme. Es stellte sich die Frage, ob dies eine Intervention darstellte und es daher auch ein eigenes Vigilanzsystem benötigte. Dazu gab es keine einheitliche Guidance, wem bzw. ob man Vorfälle im Zusammenhang mit der Blutabnahme berichten sollte; die Entscheidung fiel daher, aus eigenem Antrieb einen Safety Report für die Ethikkommission zu erstellen.

 Im letzten Fall handelte es sich um eine Studie, bei der Software zur Diagnose und Behandlung von Krankheiten zum Einsatz kommt. Die meisten Apps wurden bisher nicht über Leistungsstudien, sondern Äquivalenzdaten auf den Markt gebracht.  Wie geht man nun damit um, mittels der Daten, die ein Hersteller über viele Jahre gesammelt hat, Evidenz zu generieren? Im besten Fall gibt es ein Studienprotokoll, um nachvollziehen zu können, wie Daten generiert und gesammelt wurden, wie sie herangezogen werden, um Evidenz zu generieren. Dafür gibt es klare Regelungen im MPG: Die Patient:innen müssen aufgeklärt und ein entsprechendes Protokoll bei der Behörde eingereicht werden.

Anforderungen an RWD-Studien aus Sicht der Ethikkommission

Im abschließenden Vortrag berichtet Prof. DI. Dr. Josef Haas, Vorsitzender der Ethikkommission der Medizinischen Universität Graz, über die Anforderungen an RWD-Studien aus Sicht der Ethikkommissionen.

Essenziell ist der Zweck, für den die Daten gesammelt werden unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte und unter Einhaltung der DGSVO. Der „Informed Consent“ ist einzuholen, sofern es zumutbar ist – unter bestimmten Bedingungen ist auch ein „Broad Consent“ in Ordnung, „Open Consent“ und „No Consent“ sind keine validen Optionen.

Mit welchen Themen sehen sich die Ethikkommissionen konfrontiert?
Nicht immer ist eindeutig definiert, woher die gesammelten Daten stammen bzw. wie der Informed Consent eingeholt wird. Wie werden Daten deidentifiziert oder anonymisiert? Wie sieht der Datentransfer aus? Das Wichtigste ist: Die Daten müssen zu einem bestimmten Zweck gesammelt werden, der im Protokoll eindeutig beschrieben werden muss. Zusätzlich sollte der gesamte Weg der Daten und eventuelle Kooperationspartner aufgeführt werden. Nicht immer wären die Bestimmungen der DGSVO allen Einreichenden genug bekannt, die Unkenntnis in der Unterscheidung bestimmter Begriffe wie Registerstudien vs. Registerverwertungsstudien oder anonymisiert vs. pseudonymisiert führen oft zu Verzögerungen in der Beurteilung einer Studie.

Aktuell gibt es eine nationale Leitethikkommission nur bei AMG- und MPG-Studien. Für Studien mit RWD müssen Anträge bei den jeweiligen Ethikkommissionen gestellt werden.

Die Slides dieser Vorträge sind nur für Mitglieder abrufbar. Den Link erhalten Sie wenn Sie Mitglied werden.

 
Koordinationszentrum für Klinische Studien, 1090 Wien, Kinderspitalgasse 25a, OG 1, Tel (+43-1)40160 25183, kks@meduniwien.ac.at, http://www.meduniwien.ac.at/kks