Klinische Forschung am Prüfstand

Diese Veranstaltung fand am 30.11.2023, in Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien und dem FOPI statt

Wie zukunftsfit ist die Arzneimittelforschung und was bedeuten Änderungen im Arzneimittelrecht für den Forschungsstandort Österreich?

Die EU Pharma Legislation und ihre Auswirkungen

Die Europäische Kommission leitete in diesem Jahr die Reform des EU-Arzneimittelrechts ein, mit dem Ziel den Innovationsstandort Europa voranzubringen sowie die Patient:innenversorgung einfacher und einheitlich zugänglich zu machen. Julia Guizani, Präsidentin der FOPI, analysierte in ihrem Vortrag die Auswirkungen der geplanten Reform auf die forschende pharmazeutische Industrie. Die Vorschläge sehen etwa eine Verkürzung des Unterlagenschutzes von aktuell 8 plus 2 Jahren auf 6 plus 2 Jahre vor – aus Sicht der forschenden Industrie der größte Pain-Point für Innovationen. Die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel ist zeit-, kosten- und ressourcenintensiv, die Erfolgsaussichten ein Produkt zur Marktreife zu bringen, sind gering. Der Unterlagenschutz sei deshalb wichtig, um den europäischen Forschungsstandort – insbesondere im globalen Wettbewerb – zu stärken. Über verschiedene Wege sollen künftig neue Anreize geschaffen werden, den Unterlagenschutz zu verlängern: die Markteinführung und kontinuierliche Versorgung der Patient:innen in allen EU-Mitgliedsstaaten (plus 2 Jahre), Schließung von Versorgungslücken (plus 6 Monate), Durchführung vergleichender klinischer Prüfungen (plus 6 Monate) oder die Ausweitung auf neue Indikationen (plus 1 Jahr). Diese Themen würden aber zumeist nicht im Einflussbereich der Unternehmen liegen, wenn es etwa um die zeitgleiche Verfügbarkeit und Erstattung von Arzneimitteln in allen EU-Ländern aufgrund der unterschiedlichen Gesundheitssysteme oder Vergleichstherapien zum Zeitpunkt von Studiendesigns adäquat abzubilden.  Weitere Reformvorschläge der EU Pharma Legislation sehen eine Ausweitung der Biosimilar-Regelung, eine 6-monatige Meldefrist, um Engpässe in der Arzneimittelversorgung zu vermeiden, kürzere Marktexklusivität für seltene Erkrankungen oder die Aufnahme von Umweltverträglichkeitsprüfungen schon im Zulassungsdossier vor.

Wird die Reform in dieser Art umgesetzt, ortet die Interessensvertretung der pharmazeutischen Industrie einen steigenden Wettbewerbsnachteil für europäische Unternehmen. Laut einer aktuellen EFPIA-Studie¹ würde der Anteil von F&E-Investitionen in der EU im Zeitraum 2020 bis 2040 von 32 auf 21 Prozent sinken; das bedeutet einen Verlust von 50 von 225 erwarteten neuen Therapien und damit einhergehend eine Verschlechterung der Versorgung von Patient:innen um 16 Mio. Lebensjahre. Um klinische Forschung als Motor für medizinische Innovation zu stärken, fordert die FOPI Maßnahmen zur Digitalisierung im Bereich klinischer Prüfungen, den Abbau regulatorischer Hürden und die Förderung klinischer Studien durch einen unterstützenden Ordnungsrahmen im aktuellen Gesetzgebungsprozess ein. 

Chancen und Möglichkeiten für außeruniversitäre Arzneimittelforschung

Außeruniversitäre Forschung ist oftmals Auftragsforschung – für Arschang Valipour, Vorstand der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie an der Klinik Floridsdorf und Leiter des Karl-Landsteiner-Instituts für Lungenforschung und Pneumologische Onkologie, aber essenziell, um das wissenschaftliche Niveau durch die frühe Auseinandersetzung mit neuen Therapien in den Krankenhäusern hochzuhalten. Dazu würden über die Rückvergütung von Studienmedikation die Kosten der Arzneimittel für die Krankenhausträger reduziert; allein im onkologischen Bereich könnten so über alle Häuser des Gesundheitsverbunds zwischen 50 und 100 Mio. Euro eingespart werden.

Wo liegen nun die Stärken und Schwächen außeruniversitärer Auftragsforschung? Im Zentrum steht die Versorgung von Patient:innen. Das heißt, außeruniversitäre Studienzentren verfügen zwar über eine große Fallzahl von Patient:innen mit bestimmten Krankheitsbildern, sind aber die Betten der Stationen aufgrund saisonaler Schwankungen belegt, könnten zusätzliche Studienmaßnahmen wie elektive Eingriffe nicht durchgeführt werden. Die Forschung findet prinzipiell während dem klinischen Alltag statt, die Personalressourcen sind daher beschränkt und eigene Studientage nicht eingeplant. Andererseits werden durch die Einbindung der Forschung in die klinische Praxis valide Real World Daten generiert, die Auskunft über die Versorgung von Patient:innen geben können.

Um außeruniversitäre Forschung erfolgreich betreiben zu können, braucht es deshalb Kooperationen mit externen Partnern wie der forschenden pharmazeutischen Industrie oder dem Wiener Gesundheitsverbund. Das Karl Landsteiner Institut für Lungenforschung und Pneumologische Onkologie unter der Leitung von Arschang Valipour konzentriert sich seit seiner Gründung 2019 auf die Forschung im Bereich COPD und Bronchuskarzinom in den Studienphasen 2b/3/4, über das LALUCA Lung Cancer Registry können die Daten von bereits 1200 Patient:innen über den gesamten Krankheitsverlauf analysiert werden und für die weitere Forschung genützt werden. Pro Jahr werden über das Studienzentrum bis zu 50 Studienteilnehmer:innen rekrutiert, aktuell sind 200 Patient:innen in den 36 laufenden Studien eingeschlossen.

Outcome Forschung 2.0 – was machen wir in Österreich ohne Daten?

„In Österreich gibt es derzeit wenige Standards was gemessen werden sollte, RWD und Outcomes-Daten sind fragmentiert, kaum vernetzt oder zugänglich, um die Entwicklung und Validierung von Algorithmen und Modellen voranzutreiben“, skizziert Tanja Stamm vom Zentrum für Medical Data Science, Institut für Outcomes Research an der Medizinischen Universität in Wien, die aktuelle Lage im Bereich Outcomes-Forschung. Relevante Daten für die Forschung sollten daher generisch und auch krankheitsspezifisch vorliegen, um auch krankheitsübergreifend Parameter wie z.B. alltagsrelevante Symptome, wie etwa Nebenwirkungen von Medikamenten, Schmerz, Müdigkeit oder Lebensqualität abbilden zu können. Gemeinsam mit klinischen Daten sollten diese in möglichst großer Menge, möglichst schnell (Verkürzung der Time to Research), sicher und demokratisch im Sinne einer fairen Nutzung verfügbar sein. Outcome-Daten sollten Kliniker:innen zur Verfügung stehen, aber auch Patient:innen zugänglich gemacht werden. ELGA bilde eine sehr gute Basis, die Patient:innen können ihre Befunde über einen bestimmten Zeitraum einsehen, darüber hinaus gibt es derzeit keine Aufarbeitung der Daten oder Patient Reported Outcomes; im Vergleich zu Dänemark, Estland oder Finnland gibt es bei der primären und sekundären Nutzung von Daten in Österreich Aufholbedarf.

Internationale Konsortien wie ICHOM entwickeln repräsentative und standardisierte Outcome Sets; über das EU-geförderte Forschungsprojekt „Health Outcomes Observatory“ (H2O) soll nun eine Infrastruktur geschaffen werden, standardisierte, ethische und rechtlich einwandfreie Outcomes-Datenerhebung zu ermöglichen. Dies wird zunächst für die Indikationen Morbus Crohn, Diabetes und Brust- bzw. Lungenkrebs in Österreich, Deutschland, Spanien und den Niederlanden erfolgen, mit dem Ziel Gesundheitsergebnisse effektiver zu messen und Gesundheitsentscheidungen unter Einbeziehung und Mitarbeit der Patient:innen besser treffen zu können – für die Zukunft spielen Patient Reported Outcomes gemeinsam mit den klinischen Daten eine wichtige Rolle in der Behandlung, aber auch der Kommunikation von Patient:innen und ihren Gesundheitsversorgern. Dazu benötigt es aber geeignete Governance-Modelle, einen nationalen Konsensus, allgemeine Standards zur Messung von Daten, Transparenz bei den Outcomes, um repräsentative Aussagen für Vergleiche zu machen sowie eine Stärkung der Science Literacy in der Bevölkerung in Bezug auf den Umgang und die Sammlung ihrer Daten.

Klinische Forschung in Österreich: Anspruch, Wunsch und Realität
Klinische Studien bedeuten meist ein enormes Investment in zeitliche und finanzielle Ressourcen mit ungewissem Ausgang. Am Beispiel der Entwicklung des Covid-19 Impfstoffs erklärte Sylvia Nanz, Medical Director Pfizer Corporation Austria GesmbH, wie Ressourcen aufgrund des Zeitdrucks optimal eingesetzt werden mussten. Mittels AI wurden Modelle erstellt, um möglichst genau vorauszusagen, an welchen Orten mit einer gesteigerten Krankheitsaktivität zu rechnen sei, Studienzentren dementsprechend eröffnet. Die große Anzahl an Studiendaten wurde in Echtzeit weiterverarbeitet und ausgewertet, sodass innerhalb eines Monats nach Studienende der vollständige Report für die Zulassungsbehörden vorhanden war. Die Learnings aus dieser Situation lassen sich – wenn auch nicht in dieser Intensität – zur Prozessoptimierung auf klassische Studien umsetzen: Um die Erfolgswahrscheinlichkeit klinischer Prüfungen zu erhöhen, können etwa über die Simulation von PK/PD-Daten oder Modelle zur Vorhersage des Behandlungserfolgs der Aufwand für Studienpatient:innen, unter Wahrung von Qualitäts- und Sicherheitsaspekten, verringert werden.

Forschende pharmazeutische Unternehmen würden überdies zur Erfolgsoptimierung das ideale Studienzentrum suchen: Hier können in einem kurzen Zeitraum möglichst viele Teilnehmer:innen über alle Indikationen hinweg rekrutiert werden, das Studienteam ist verlässlich und eingespielt und eHealth-Records sind vollständig und leicht zugänglich. Österreich ist in puncto Expertise, Qualität, technische Ausstattung und etablierte Spezialzentren für „Nischenindikationen“ gut aufgestellt, Aufholbedarf gibt es, wenn es um einheitliche Systeme, personelle Ressourcen und Vertragsgestaltung geht.

Wohin geht die Reise? Über dezentralisierte Studien wird der Zugang zu neuen oder zusätzlichen Patient:innenpopulationen ermöglicht; Remote Monitoring, der Einsatz (ethischer) AI und von eHealth Records bieten neue Wege bei der  Planung von Patient:innen-Pools oder Einschlusskriterien sowie der Durchführung von Studien. In Österreich reagiert man noch zurückhaltend auf diese Entwicklung. In der Nationalen Regelung zum Quelldatenvergleich aus der Ferne (remote SDV) 2021 steht man dieser aufgrund unzureichender Erfahrungen und fehlender technischer Voraussetzungen kritisch gegenüber.

Abschließend beschäftigt sich Nanz mit der Frage, was es für eine erfolgreiche Zukunft braucht. Klinische Forschung muss als zentrales Asset und als fixer Bestandteil in der Patient:innenversorgung verstanden werden, die Finanzierung der Basis-Strukturen als Teil der „Grundausstattung“ um erfolgreich klinische Prüfungen durchzuführen, vorhanden sein. Für zukünftige Entwicklungen wie dezentralisierte Studien sind zugängliche Daten, die Zusammenarbeit über Systemgrenzen und Pilot-Projekte notwendig.

¹https://www.efpia.eu/media/cm2jbsjx/revision-of-the-general-pharmaceutical-legislation-impact-assessment-of-european-commission-and-efpia-proposals.pdf

Die Slides dieser Vorträge sind nur für Mitglieder abrufbar. Den Link erhalten Sie wenn Sie Mitglied werden.

Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI)

Koordinationszentrum für Klinische Studien, 1090 Wien, Währinger Straße 25a, OG 1
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