Frühe klinische Studien – Chancen auf Spezialisierung

fand am Donnerstag, 28. September 2023, 16:00 Uhr im
Institut für Physiologie, Großer Hörsaal, Schwarzspanierstraße 17, 1090 Wien statt

Die Fortbildung der GPMed in Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien bot einen vielfältigen Überblick, welche Methoden zur Durchführung früher klinischer Studien zusätzlich zum klassischen Phase 1-Studiendesign zum Einsatz kommen können.

Modellierung in der Arzneistoffentwicklung

Die Entwicklung von Arzneimitteln ist traditionell mit großem finanziellem und zeitlichem Aufwand und unklarer Erfolgswahrscheinlichkeit – etwa 90% der Arzneimittelkandidaten scheiden im Verlauf der klinischen Prüfungen aus – verbunden. Um diese Risiken zu minimieren, braucht es neue Methoden – eine davon ist der Einsatz von Modellen und Simulationen in klinischen Prüfungen.

Ass. Prof. Dr. Iris Minichmayr, Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie an der MedUni Wien beschreibt in ihrem Referat die verschiedenen Modelle und ihre Rolle in der Arzneistoffentwicklung: In Modellen können alle Prozesse quantifiziert und charakterisiert werden (z. B.: ADME, Rezeptorbindungen oder klinische Effekte). Modelle dienen dazu, Interaktionen zwischen Arzneistoff, Krankheit und Patient zu modellieren und vorherzusagen. Sie helfen dabei, Exposition, Wirksamkeit, Toxizität und Krankheitsverläufe zu beschreiben – pharmakokinetische (Konzentrations-/Zeitverläufe) und pharmakodynamische Beziehungen (Konzentrations-/Effektverlauf) können dargestellt werden. Eine Kombination daraus sind PKPD-Modelle, bei denen Wirkeffekte über die Zeit dargestellt werden.

In frühen klinischen Studien kommen abhängig vom Forschungsziel unterschiedliche Modelle zum Einsatz. Populationspharmakokinetische Modelle erlauben die gleichzeitige Analyse aller Daten aller Patient:innen. Verschiedene Datenquellen können gepoolt werden, ebenso verschiedene Studienphasen oder Applikationswege, die Information über den/die indivuelle:n Patient:in bleibt erhalten (Stichwort personalisierte Medizin).

Systembiologische Modelle wiederum bauen auf zellulärer Ebene auf. Sie dienen dazu, diese Systeme besser zu verstehen, neue Wirkmechanismen oder Targets zu identifizieren. Mittels Krankheitsverlaufsmodellen werden zum Beispiel Tumordynamiken beschrieben. Welches Modell nach erfolgreicher Evaluierung zur Simulation klinischer Prüfungen eingesetzt wird, ist abhängig von den vorliegenden Daten. Zur Anwendung kommen sie in der Entwicklung neuer Arzneistoffe, bei der Zulassung und der Indikationserweiterung bereits zugelassener Produkte.

Jenseits von First in Man – herkömmliche und innovative Phase I Studien am Menschen

Phase 1-Studien sind die Grundlage jeder Zulassung. Bis dahin werden allerdings viele Wirkstoffkandidaten im Verlauf der klinischen Studienphasen aufgegeben. Wie kann man dieses Risiko minimieren? In seinem Vortrag zeigt Univ. Prof. Dr. Markus Zeitlinger, Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien, zahlreiche Beispiele dafür, dass diese Studien auch abseits ihrer klassischen Definition wichtige Erkenntnisse liefern können.

In komplexen Studiendesigns wie dem „Umbrella Trial“ werden verschiedene Wirkstoffe zur Untersuchung einer Indikation getestet. Im Gegensatz dazu werden beim „Basket Trial“ unterschiedliche Personengruppen – zuerst gesunde Probanden und danach Betroffene mit verschiedenen Krankheitsbildern, die aber dieselbe genetische Mutation aufweisen – untersucht.

Zum Teil sind Studien aufgrund der geringen Patient:innenpopulation oder komplizierter Fragestellungen nur eingeschränkt möglich. Die wissenschaftliche Basis wird dann über Umwege generiert. Zeitlinger demonstriert dies am Beispiel einer Studie, bei der das pharmakokinetische Profils eines Antibiotikums bei Patient:innen mit Tonsilitis bzw. Prostatitis nach Infektion mit Gonorrhoe-Bakterie untersucht werden sollte. Um die Evidenz zu generieren, wurden den entnommenen Organen von Patient:innen nach Tonsillektomie oder Prostatektomie ex vivo der Wirkstoff appliziert und mittels Mikrodialyse die Keime im Gewebe gemessen, um das entsprechende Wirk-/Zeitprofil am richtigen Wirkort zu bekommen.

Beim Microdosing wird die Pharmakokinetik von Arzneimitteln beim Menschen nach Verabreichung sehr geringer Dosen gemessen. Eine Studiengruppe zeigte in einer Machbarkeitsstudie mit einem Antibiotikum, dass Microdosing in Kombination mit der Mikrodialyse zur Vorhersage der Pharmakokinetik therapeutischer Dosen am Zielort ein potenziell nützliches Werkzeug in der klinischen Entwicklung antimikrobieller Medikamente ist, allerdings benötigt es sensible Analysemethoden aufgrund der geringen Konzentration des Wirkstoffs.

Wie sieht dies bei topischen Phase 1-Studien aus? Bei Augenerkrankungen wird die Medikation in 90 % der Fälle topisch verabreicht, die Herausforderungen in der Studie liegen in kurzen Verweilzeiten der Pharmaka an der Augenoberfläche, der schlechten Penetration durch die Augenoberfläche, Toxizität von Konservierungsmitteln und daraus resultierender schwer erfassbaren Pharmakokinetik im Menschen. In einer Untersuchung an Patient:innen, die an trockenen Augen litten, wurde etwa die Wirkung von Tropfen nach Kopplung an hochmolekulare Trägersubstanzen, die die Verweildauer an der Augenoberfläche erhöhten, über eine Messung der Veränderung der Tränenfilmdicke untersucht.

Bildgebende Verfahren werden auch in Phase 1 Studien immer wichtiger. Mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) können ADME-Prozesse im ganzen Körper auf einmal beschrieben werden. Nachteil: Neben der notwendigen technischen Infrastruktur ist zur Durchführung des Scans der Einsatz eines Radiopharmakons notwendig.

Specifics of Phase I studies in Hepatic/Renal impaired subjects

Phase I-Studien zur Leber- und Niereninsuffizienz sind in vielerlei Hinsicht herausfordernd – einen Überblick über die wichtigsten Kriterien zum Studiendesign Péter Karacs, Program Director bei Celerion.

Die meisten Patient:innen nehmen wegen ihrer Erkrankung bzw. Komorbiditäten bereits viele Medikamente ein, viele sind schwerkrank oder warten auf eine Transplantation von Leber oder Niere; eine sorgfältige Auswahl der Ein- und Ausschlusskriterien für diese speziellen Populationsstudien ist daher von entscheidender Bedeutung. Schwer beeinträchtigte Patient:innen sind die am schwierigsten zu rekrutierende Gruppe, da ihr Gesundheitszustand die Teilnahme an klinischen Studien oft nur eingeschränkt möglich macht – die Standorte sollten daher zeitlich flexibel sein. Raucher:innen sollten als mögliche Studienteilnehmer:innen zugelassen werden, da viele Patient:Innen mit eingeschränkter Leberfunktion rauchen.

Als weitere Herausforderungen nennt Karacs

  • die Sicherstellung, dass gesunde Kontrollpersonen, die für die Studie rekrutiert wurden, die im Protokoll festgelegten Kriterien für die Patientenübereinstimmung erfüllen (ältere, gesunde Kontrollkandiat:innen ohne verzögerte Kreatinin-Clearance sind rar).
  • die Sicherstellung einer angemessenen Überprüfung der Begleitmedikationen, die ein Patient einnimmt, ist durch das Protokoll vor der Dosierung zulässig.
  • Nachverfolgung der Rekrutierung von Patient:innen und Kontrollpersonen nach Standort, um sicherzustellen, dass alle im Protokoll definierten Zuteilungsziele erreicht werden.
  • die Sicherstellung, dass die Patient:innen der richtigen Kohorte zugewiesen werden, basierend auf dem Grad der Beeinträchtigung, der durch die im Protokoll definierten Gleichungen und Kriterien bewertet wird.
  • überarbeitete Guidelines der FDA erfordern eine höhere Anzahl an eingeschlossenen Patient:innen pro Kohorte, wodurch die Studiendauer verlängert wird.

Phase 1-Studien – eine österreichische Perspektive

„Wissenschaftliche Forschung und klinische Versorgung von Patient:innen lassen sich nicht getrennt betrachten“, erklärt Univ. Prof. Dr. Richard Greil, Universitätsklink für Innere Medizin, Landeskrankenhaus Salzburg im letzten Vortrag des Abends. Weltweit wurden von der WHO 744.000 Studien registriert, rund 51.000 davon in der Phase I – den größten Anteil machen dabei onkologische Studien aus. In Österreich laufen etwa 8% aller Studien in der Phase 1 und auch hier dominiert die onkologische Forschung. Wichtig für die Zentren ist, auf eine möglichst große Pantient:innenpopulation zurückgreifen zu können, um einerseits für die Industrie als Forschungsstandort attraktiv zu sein und andererseits auch in späteren klinischen Phasen genügend geeignete Studienteilnehmer:innen zu bekommen. Kleine Länder wie Österreich hätten hier einen Nachteil, nur wenige Zentren in Österreich sind laut Greil in der Lage, ausreichend Patient:innen zu rekrutieren und in Studien aufzunehmen. Am Salzburger Standort wurden bisher 43 Phase 1-Studien durchgeführt, aktuell sind 11 in Durchführung, 4 weitere sollen noch in diesem Jahr starten. Wichtig ist der persönliche Einsatz der Forscher:innen Studien an den eigenen Standort zu bekommen.

Was braucht man also, um eine Phase 1-Studie durchführen zu können? An gut organisierten Standorten können Phase 1-Studien in allen Indikationen durchgeführt werden, dafür braucht es ein hoch qualifiziertes Team; eigene Phase 1-Units sind nicht nötig. Als größte aktuelle Herausforderungen nennt Greil die fehlende Remuneration für klinische Studien und die abnehmende Zahl an Ärzt:innen an den Kliniken, die durch den hohen Stundenaufwand bereit sind, Forschung zu betreiben oder Fehler in den Einreichprotokollen an die Ethikkommissionen, wodurch Planung und Dauer von Studien verzögert werden.

Die Slides dieser Vorträge sind nur für Mitglieder abrufbar. Den Link erhalten Sie wenn Sie Mitglied werden.

Koordinationszentrum für Klinische Studien, 1090 Wien, Kinderspitalgasse 25a, OG 1, Tel (+43-1)40160 25183, kks@meduniwien.ac.at, http://www.meduniwien.ac.at/kks

Von links nach rechts: Dr. Dejan Baltic, Univ. Prof. Dr. Richard Greil, Univ. Prof. Dr. Markus Zeitlinger, Ass. Prof. Dr. Iris Minichmayr, Péter Karacs